Der Auszug –
Selbstständigkeit und gewisse Ängste

Als ich meine Ausbildung erfolgreich beendet habe, war ich voller Tatendrang.

Es war einfach eine schöne Zeit, an die ich gerne zurück denke.

So habe ich mich voll motiviert auf mehrere Stellen innerhalb meines Ausbildungsbetriebes beworben, da ich wusste dass die Schwerbehindertenvertretung sehr gut ist und die Bedingungen daher optimal.

Nach einigen Absagen kam dann schlussendlich doch eine Zusage. Ein sehr gutes Gefühl.

Der Standort der ausgeschriebenen Stelle war jedoch in Bonn. Meine bisherigen Schulen und der Ausbildungsbetrieb waren alle gut mit dem Auto erreichbar. Für die Zeit der Ausbildung habe ich ein Taxi genutzt, welches teilweise durch die Agentur für Arbeit gesponsort wurde. Ein Führerschein kam leider nicht in Frage, da ich seit dem 12. Lebensjahr an Epilepsie erkrankt bin.

Also musste ich nach 24 Jahren von zuhause ausziehen und auf eigenen Beinen stehen. Was ein tolles Wortspiel ^^

Ich habe dies aber nicht als Hinderungsgrund angesehen, da ich diese Stelle unbedingt antreten wollte und ein Auszug langsam überfällig war.

Das dies jedoch gar nicht so einfach sein sollte, wie anfangs gedacht, merkte ich erst später.

Ich begann also meine Arbeit in Bonn und bezog für die Übergangszeit ein kleines Appartment, bis ich eine geeignete Wohnung gefunden hatte. Die Wohnungssuche lief erstaunlich gut. Bereits nach einem halben Jahr habe ich eine komplett behindertengerechte Wohnung im nächsten Wohnort gefunden. Das hätte ich nie gedacht.

Alles war perfekt gemacht und was noch fehlte, wie z.B. eine barrierefreie Küche, lies ich entsprechend einbauen.

Nun kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen. Ein guter Job, eine schöne Wohnung, was will man mehr ?

 

Nach einiger Zeit in der fremden Stadt entwickelte sich ein komisches Gefühl in mir. Ich habe gemerkt, dass sich eine gewisse Unsicherheit entwickelte, wenn ich raus ging. Mir fehlten noch soziale Kontakte und der Großteil der Stadt war einfach fremd. Es kamen regelrechte Angstzustände auf, wenn ich in die Innenstadt ging.

Und was macht man, wenn man Angst bekommt ? Man umgeht die betreffenden Situationen. Ein großer Fehler, wie ich gemerkt habe.

Als es immer schlechter wurde und ich keinen Spaß mehr daran hatte, raus zu gehen, habe ich beschlossen, um Hilfe zu fragen. Ich habe eine Gesprächstherapie begonnen, weil ich aus einer früheren Therapie bereits wusste, dass dies sehr sinnvoll sein kann.

Ich habe erfahren, dass sich bei mir eine Agoraphobie (ugs.: Platzangst) entwickelt hat und ich diese nur durch Konfrontation wieder los würde. Man muss sich seinen Ängsten stellen.

Also beschloss ich, meiner Angst nicht mehr aus dem Weg zu gehen, sondern aktiv auf sie zuzugehen und sie auszuhalten. Denn ich wusste nun, dass es eine Überreaktion in einer harmlosen Situation war und mir nichts passieren kann. Genauso habe ich diese Erkenntnis gegen die Höhenangst genutzt, die mich schon mein ganzes Leben begleitet. Ich näher mich der Angst, stelle mich und ertrage sie, bis sie von alleine verschwindet. So habe ich bereits deutliche Fortschritte gemacht. Und ein Verlust von Angst bedeutet einen deutlichen Zugewinn von Selbstbewusstsein.

Praktikum und Ausbildung –
Das wiedererwachte Selbstwertgefühl

Nach Beendigung der Schule kommt für viele die Frage: Was nun ?

Da ich nach der 12. Klasse gegangen bin und vom reinen Theorieunterricht die Nase voll hatte, fiel ein Studium erstmal weg. Ich wollte praktisch arbeiten. Am liebsten im Bereich der Informationstechnik, da dies bereits viele Jahre ein großes Hobby von mir war.

Daraufhin habe ich in der Nähe nach geeigneten Möglichkeiten gesucht. Ich fand einen kleinen Laden in der Nähe, welcher sich mit der Reparatur und dem Verkauf von IT-Produkten befasst. Eine kleine Firma, bestehend aus dem Chef und einem fest angestellten Mitarbeiter. Ich bewarb mich um einen Praktikumsplatz und wurde erstmal für ein halbes Jahr angenommen. Geld verdienen war noch zweitrangig, da ich zu dieser Zeit bei meinen Eltern wohnte und dies vorerst so bleiben konnte.

Während dieser Zeit begann ein Prozess der Selbstfindung. Ich merkte, wie mein Selbstbewusstein stieg, nachdem es jahrelang immer kleiner wurde.

Hier merkte ich, wie nicht mehr der Rollstuhl im Mittelpunkt stand, sondern ich als Mensch und mein Handeln. Das Klima war einfach super. Ich konnte mich beweisen und die Wünsche der Kunden erfüllen. Und wenn der Kunde zufrieden ist, läuft das Geschäft 😉

Nachdem die Zeit des Praktikums vorüber war, bot mir der Chef ein weiteres Jahr der Mitarbeit als geringfügig Beschäftigter an. Da ich mich noch nicht um einen Ausbildungsplatz bemüht hatte und das Klima in der Firma sehr gut war, nahm ich das Angebot gerne an.

Es war weiterhin eine tolle Zeit.

Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, habe ich mich um einen Ausbildungsplatz beworben. Viele wissen, dass die Suche lange dauern kann, so kamen viele Absagen oder auch gar keine Reaktion zurück. Glücklicherweise hat es dann doch noch geklappt und ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dieses verlief positiv und ich konnte meine Ausbildung beginnen.

Während der Ausbildung gab es keine Probleme in Bezug auf Barrierefreiheit, da ich diese bei einem großen Telekommunikationsunternehmen absolviert habe, mit entsprechend gutem Ausbau. Dies ist wahrscheinlich einfacher, als bei kleineren Ausbildungsbetrieben, deren Räumlichkeiten eventuell noch umgebaut werden müssen.

Sie stehen jedoch meiner Meinung nach in der Pflicht, Barrierefreiheit zu gewähreisten, da niemand aufgrund von baulichen Gegebenheiten von einer Ausbildung ausgeschlossen werden darf.

Schule –
Ein schwieriges Thema

Ich beginne mit einem Thema, welches mit Sicherheit eines der schwierigsten Themen ist.

Auch nach über 10 Jahren gibt es Dinge, über die ich nicht gerne rede. Wobei natürlich ganz und gar nicht alles schlecht war.

Ich bin ich von der Grundschule bis zum Abschluss am Gymnasium auf sogenannte Regelschulen gegangen.

Ich plädiere auch dafür, dass jedes Kind, ob mit oder ohne Behinderung, eine Regelschule besuchen sollte, da dies die Inklusion deutlich nach vorne bringen würde. Kinder haben in einem gewissen Alter noch keine Vorurteile. Daher würden diese erst gar nicht entstehen, wenn man von klein auf miteinander lernen würde.

Außerdem sind die Abschlussmöglichkeiten auf sogenannten Förderschulen derart begrenzt, dass dies die weitere berufliche Ausbildung deutlich einschränkt.

Leider sind die meißten Regelschulen im Land, damals wie heute, immer noch nicht an die Bedürfnisse Behinderter angepasst.

Dies hat auch bei mir zu einer, positiv gesagt, “abenteuerlichen” Schullaufbahn geführt.

Als ich eingeschult wurde, war meine alte Grundschule nicht barrierefrei und aufgrund einiger Stufen schwierig mit dem Rollstuhl zu erreichen. Jedoch habe ich tatkräftige Unterstützung von meinen damaligen Mitschülern und Lehrern bekommen. Und nach kurzer Zeit wurde eine Rampe gebaut, um auch mit dem Rollstuhl selbstständig ins Gebäude zu kommen. Das nenne ich gelungene Inklusion!

Nach 4 Jahren Grundschule kommt dann für jeden die Suche nach einer geeigneten weiterführenden Schule.

In meinem Fall natürlich nicht nur eine Frage der Eignung, ob Hauptschule, Realschule oder Gymnasium die richtige Wahl sind, sondern auch wieder die schwierige Suche nach Barrierefreiheit.

Schlussendlich bin ich auf eine wirklich gut barrierefrei gebaute Gesamtschule gegangen. Dort hätte es theoretisch bis zum Abitur weitergehen können.

Im Nachhinein gesagt leider bin ich jedoch auf Rat meines Klassenlehrers bereits nach einem Jahr auf ein anderes Gymnasium gewechselt. Da die nächstgelegene Schule, wo auch einige meiner alten Klassenkameraden hingingen, leider noch nicht rollstuhlgerecht gebaut war, blieb mir nur der Wechsel in eine andere Stadt.

Hier habe ich nun einmal erfahren, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Die Strukturen in der Klasse hatten sich nunmal bereits gefestigt. Und dann komme ich als Rollstuhlfahrer, der obendrein noch strohdoof ist (Achtung: Ironie!), da der Lernstand eines Gymnasiums einfach höher ist, in diesen Verbund. Das konnte ja nicht gut gehen. Auch wenn die Lehrer vieles versucht haben, ohne Akzeptanz durch die Kameraden ist es ein ewiger Kampf. Diesen wollte ich nicht gehen.

Als ein Jahr beendet war, konnte ich glücklicherweise auf die Schule gehen, wo ich einige meiner alten Kameraden und Freunde aus der Grundschule wieder traf. Die Schule war zwar immer noch nicht perfekt barrierefrei, aber das war mir in dem Moment egal. Es geht einfach nichts über einen guten Klassenverbund, dachte ich. Leider hatte ich durch meine ständige Schulwechselei sehr viel Lernstoff nachzuholen, weshalb ich etwas hintendran war. Und dann kam zusätzlich ein Krankenhausaufenthalt dazwischen, welcher mich genötigt hat, die Klasse zu wiederholen.

Nun also wieder ein neuer Klassenverbund, wo man versuchen muss, reinzukommen….

So langsam wurde ich es leid. Es war zwar lange nicht mehr so schwierig, da jeder von uns älter geworden ist, aber gewisse Vorbehalte herrschten einfach in den Köpfen. Und dann gibt es noch die offensichtlichen Barrieren, wie z.B. Treppen, die nicht gerade dazu beitragen, aufeinander zuzugehen.

Aber egal. Ich habe es durchgezogen und bin bis zum Ende dort geblieben.

Vielleicht hätte ich in der ein oder Anderen Situation auch etwas offensiver sein können und es wäre manches einfacher gewesen.

Alles in allem möchte ich jedoch sagen, dass wir dafür kämpfen sollten, dass jede Schule zu 100% barrierefrei gebaut wird, da jedes Kind ein Recht darauf hat, von Anfang an in seiner gewohnten Umgebung zu lernen und in Vielfalt aufwachsen sollte, damit Barrieren im Kopf erst gar nicht entstehen.